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Bild des Architekten

Roland Rainer: Rainersiedlung St. Pölten

Roland Rainer, geboren 1910, studierte an der Technischen Hochschule in Wien und ist seit 1936 selbstständiger Architekt, 1953-54 Professor an der Technischen Hochschule in Hannover, 1955-56 Professor in Graz, 1956-80 Leiter der Meisterschule für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und 1958-63 Stadtplaner von Wien. Roland Rainer entwickelte in zahlreichen Publikationen eine zusammenhängende Lehre vom Einzelhaus bis zum Städtebau. Für Privathäuser propagiert Rainer das naturnahe Wohnen im verdichteten Flachbau und greift Ideen aus der Antike (Atriumhaus) und dem Orient auf (Gartenstadt Puchenau bei Linz); für große öffentliche Bauten verwendet Rainer eine expressiv-konstruktive Sprache als Ausdruck demokratischer Repräsentation (Stadthalle Wien; Stadthalle Bremen, Stadthalle Ludwigshafen).

 



Im folgenden Gespräch geht es um die Gartenstadt Rainersiedlung St. Pölten, ein Wohnprojekt entlang der Traisen gegenüber des Regierungsviertels in der niederösterreichischen Landeshauptstadt.
Die Planung erfolgte durch Prof. Dr. Dr. h.c. Roland Rainer, die Ausführung durch Mag. arch. Harald Wallner.

Auf einem Grundstück von ca. 22.000 m² werden 160 Wohneinheiten in 2-, 3- und viergeschossigen Gebäuden mit ca. 220 Stellplätzen in drei darunter liegenden Garagen gebaut. Die Wohnungsgrößen bewegen sich zwischen 45 und 120 m², die gesamte Anlage ist nur fußläufig.


Gibt es so etwas wie die „Rainer´sche“ Architekturphilosophie?

Ja, sie ist charakterisiert durch eine möglichst sachliche Behandlung aller Fragen.
Sachlichkeit ist ein ernstzunehmendes Charakteristikum für ALLES. Es wäre falsch von Sachlichkeit nur bei öffentlichen Bauten oder Verwaltungsgebäuden zu sprechen – alles was man macht muss sachlich sein. Wenn man sachlich bleibt, ergeben sich die Prioritäten von selbst.


Was ist eine Gartenstadt bzw. wodurch ist eine Gartenstadt charakterisiert?

Eine Gartenstadt ist nicht eine Stadt mit vielen Gärten – oder wie manche Leute denken – eine Stadt aus Gärten, das ist nicht der Fall. Wir haben festgestellt und nachgewiesen, dass man in früherer Zeit – vor der Industrialisierung – so gebaut hat. Uns war es wichtig dem Menschen begreiflich zu machen, dass die Qualitäten des Wohnens und der Erholung dann am besten zur Wirkung kommen, wenn man nicht Riesengebäude errichtet, sondern wenn in jedem Haus all die Elemente vorhanden sind, die man in der Stadt erwartet. Der Beweis sind die Gartenstädte, die es schon gibt. Das beginnt bei Ebenezer Howard (Anm.: Brit. Sozialreformer im Städtebau, 1850 – 1928) oder noch früher mit den alten handwerklichen Bauten, nicht durch Technik ausgezeichnet, sondern durch Naturnähe.
Es ist ein großer Irrtum zu glauben das technische Element sei einschränkend, das stimmt nicht. Wir meinen, dass der Garten und damit die Beziehung zur Natur und Umgebung ein wichtiges Element ist. Das Wichtige und Kostbare bei einem Einzelhaus ist ja nicht nur der Garten, sondern es ist vielmehr die Art, wie die Häuser zueinander und in der Landschaft stehen.
Gartenstadtprojekte, die sich bewährt haben, haben fast immer eine kleinmaßstäbliche Gliederung. Immer eine Gliederung mit natürlichen Materialien. Man muss versuchen die Atmosphäre einer natürlichen Stadt beizubehalten. London ist eine Gartenstadt. Die große Schule der Gartenstadt ist für uns England.
Und daher kann ich nur sagen: eine Gartenstadt ist keine Stadt aus Gärten, sondern eine Stadt, die leben soll wie eine Pflanze – in Einklang mit der Natur und des Klimas.
Damit ist aber auch gesagt, dass eine Gartenstadt keine Oberflächlichkeit ist. Eine Gartenstadt ist so etwas wie eine Gesinnung, die aus der Natur Anregungen schöpft.
Wenn man eine Idee verwirklicht – so ist das selbst bei der Gartenstadt nicht die Parzelle und das Einzelne, sondern das Ganze – das Haus und die Stadt muss ich entwickeln wie eine Pflanze.
Die Gartenstädte, die wir machen sind nicht anderes als normale Städte, in denen die Wünsche der Bewohner mehr erfüllt werden und besser erfüllt werden als woanders.


Was würden Sie als die typischste aller Gartenstädte bezeichnen?

Ich würde sagen, das typischste ist, dass jede Gartenstadt unterschiedlich ist. Das Wesen der historischen, klassischen Gartenstadt besteht in der gegliederten Verbindung von allen Räumen eines Hauses mit dem eigenen unmittelbar erreichbaren Garten, sodass der Bewohner den Garten nicht nur leicht erreicht, sondern täglich vor Augen hat. Daher sind alle Gartenstädte in erster Linie durch die praktische und sinnhaft gestaltete Einheit der Wohn- und Lebensräume geprägt. Dieses Prinzip ist auch auf kleinen Parzellen und begrenzten Flächen möglich, wobei die unmittelbare Verbindung von Wohnraum und Garten das Wesentliche ist. Der Garten muss in der Hauptsache ein Wohnraum sein. Charakteristisch ist die enge Verbindung von außen und innen, was in der modernen Architektur durch die Verwendung großer Glasflächen besser möglich ist als früher.
Wie eine Gartenstadt aussieht, ist sehr verschieden, es kommt auf die Landschaft und auf die Lage an.


Gegenüber der Gartenstadt befindet sich das niederösterreichische Regierungsviertel. Welchen Einfluss hatte die Architektur des Regierungsviertels auf die Planung der Gartensiedlung?

Keine. Ich würde sagen, es ist sogar bewusst ein Kontrast herausgestrichen worden. Ich bin der Meinung, wenn ein Wohngebäude errichtet wird, so soll es sich nicht wie ein großes Gebäude aufspielen. Es muss ein Kontrast sein zwischen einem Wohngebiet und dem Ausdruck eines Viertels, welches der Arbeit dient. Wir sollten wissen, das wir in der Gestaltung der Wohnsiedlung das WOHNLICHE betonen müssen. Es kommt in einem Wohngebiet Wohnlichkeit erst dann auf, wenn man nicht an die Arbeit denkt, wenn man nicht an Verwaltung und Industrie denkt. Das sollte man auch sehen.


Was ist aus der Sicht des Architekten das Reizvolle an diesem Projekt?

Das reizvolle an diesem Projekt ist, dass es nicht einem Schema folgt, sondern dass es den Lebensbedingungen folgt. Also Sonne im Wohnraum, Sonne im Garten usw.


Bei den vielen Argumenten spielt hier auch der Außenwandbaustoff eine Rolle?

Er spielt eine Rolle, aber eine andere als man denkt. Man muss wissen, dass man verschiedene Haustypen ganz verschieden befenstern kann. Die Fassade ergibt sich nicht nur aus der Grafik oder aus der Zeichnung, sondern auch aus den Fähigkeiten, welche das Material bietet.
Das Reizvolle ist, dass jedes Gebäude ein anderes Gesicht hat. Es kommt aus den Materialien, aus der Bepflanzung, aus der Lage usw. .
Es wurden verschiede Möglichkeiten bzw. Varianten studiert. Es gab eine starke Präferenz für einen biologischen Baustoff – für eine Ziegelwand.


Als Außenwandbaustoff wird ein Hochlochziegel mit 30 cm Wanddicke und meines Wissens erstmals eine Mineralschaumplatte 10 cm als Wärmedämmverbundsystem – bei einem Projekt dieser Art und Größe – angewendet. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Ursprünglich sollte eine monolithische Ziegelwand entstehen. Gewählt wurde dann aber ein Hochloch-Ziegel mit Wärmedämmverbundsystem. Wir haben Wert auf einen hochwertigen Wandaufbau gelegt, wobei uns die große Speichermasse des Ziegels und seine Fähigkeit Feuchtigkeit aufzunehmen und zu puffern sehr wichtig ist. Die Mineralschaumplatte hat gegenüber dem EPS-Vollwärmeschutz den großen Vorteil, dass sie diffusionsoffen ist.
Wir konnten die Bauträger von diesem hochwertigen Wandaufbau überzeugen, deshalb wurde und wird es ausgeführt.
Nicht nur die Außenwände sind aus Ziegel, sondern auch alle Zwischen- und Trennwände werden in Ziegel hergestellt.


In welchem Baustadium befindet sich das Projekt?

Derzeit befindet sich das Projekt im Rohbaustadium. Der südliche und der nördliche Teil sind schon sehr weit gediehen, der Mittelteil befindet sich im Anfangsstadium. Die Fertigstellung ist für Mai 2005 geplant.


Gibt es eine österreichische Architekturschule oder hat es eine österreichische Architekturschule gegeben?

Es hat mehrere gegeben. Architekturschulen sind eher an eine Landschaft oder an eine Stadt gebunden. Denken sie doch: jemand, der in Vorarlberg aufgewachsen ist, wird anders bauen als jemand, der an der ungarischen Grenze lebt. Alles ist anders, das Klima ist anders, die Leute sind anders, die Vorschriften sind anders. Ich glaube es ist wichtig, an welchem Ort, in welcher Gegend bzw. in welchem Bereich man arbeitet. Diese Unterschiede werden aber zunehmend unschärfer. Bei der meisten Architektur ist es besser, wenn man sie nicht genau sieht.



Der Verband Österreichischer Ziegelwerke dankt für das interessante Gespräch!