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Architektur, Lehre, Baustoffe, ...

Interviewpartner ist Architekt und Professor Roland Gnaiger. Er leitet an der Kunstuniversität Linz die Studienrichtung Architektur und ist viele Jahre dem Institut für Raum und Design vorgestanden. Der Schwerpunkt seiner Lehre liegt beim  Architekturentwurf. Dazu hält er Vorlesungen zu Fragen der Architekturkonzeption und ihren gesellschaftlichen Grundlagen, fallweise führt er auch Exkursionen. Darüber hinaus hat er den Masterlehrgang überHOLZ gegründet und das Werkstudio BASEhabitat ins Leben gerufen.


Atriumhaus Rosenstraße Dornbirn, Architekten: Gnaiger und Mössler

An der Kunstuni Linz gibt es auch die Studienrichtung Industrial Design. Was unterscheidet aus Ihrer Sicht einen Architekten von einem Designer?
Die Grenze zwischen Architektur und Design sind fließend. Weil es weder »den« Architekten noch »den« Designer gibt setzt jeder die Grenzen seines Tuns individuell. Zu Beginn der Industrialisierung haben vielfach Architekten die Aufgaben der Gestaltung von Gebrauchsgütern übernommen. Die Designdisziplin ist aus der Architektur gewachsen. Peter Behrens, Le Corbusier, Frank Lloyd Wright waren wie Adolf Loos und Josef Hoffmann auch Designer. Bei Möbeln funktioniert das heute fallweise noch. Ansonsten macht die gesteigerte Komplexität den Designspezialisten unumgänglich. An unserer Schule werden auch Roboterarme für die Industrie und die Raumfahrt entwickelt. Welcher Architekt könnte oder möchte sich solchen Aufgaben widmen? Wir währen damit wohl überfordert.    

Wie würden sie Architektur definieren? Hat sich Ihr Zugang zur Architektur in all den Jahren ihrer Architekturtätigkeit / Architekturlehre geändert?
Architektur beginnt dort wo sich Bauen über ein konventionelles, unreflektiertes, alltäglich banales Bauen erhebt. »Die« Architektur gibt es nicht. So wie alle großen Dinge des Lebens, der Mensch, die Liebe, die Kunst, so wird auch die Architektur nur kleiner und enger wenn man sie definiert.
Im besten Fall findet man als Architektin oder Architekt im Laufe eines Lebens zu einer eigenständigen Sicht und vermag diese auszudifferenzieren und zu vertiefen. Früher wurde das als »persönliche Handschrift« verstanden, häufig auch missverstanden, weil der Begriff Einzigartigkeit suggeriert. Um eine solche geht es nicht. Entscheidend ist, dass die eigene Sicht mit der eigenen Person zunehmend zur Deckung kommt. Dabei geht es nicht um Originalität in dem Sinne, dass wir uns von anderen unterscheiden, sondern um ein gewachsenes Verständnis und um Tiefe.
Insofern hat sich mein Architekturverständnis, auch mein Zugang während vieler Jahre verändert. Die Verbindung und Durchdringung mit anderen Lebensbereichen ist gewachsen.
Dort wo Architektur Gefahr läuft sehr formalistisch und vordergründig zu werden betone ich ihre gesellschaftspolitische Verantwortung und ihre dienende Funktion. Schon im nächsten Moment, wenn sie zu utilitaristisch wird, zu platt, zu pragmatisch, lege ich den Schwerpunkt auf die Kunst und auf deren Ungebundenheit. Nur Ideologen beurteilen eine Sache unabhängig vom jeweiligen Kontext.


Kindergarten In der Braike Bregenz, Architekten: Gnaiger und Gruber

Können Sie durch einen Straße, eine Dorf, eine Stadt gehen, ohne die Architektur zu „bewerten“?
Heute schon. Diese breitere, urteilslose Sichtweise wollte ich zurückgewinnen. Ist man sensibilisiert für den Raum und die Fragen der Ästhetik können viele Wege angesichts allgegenwärtiger Wahnsinnigkeiten zu Leidenswegen werden. Verschließt man sich dieser Realität, führt das zur Verdrängung. Dadurch kann das Potential zur Veränderung verpasst werden. Diese Haltungen sind unter ArchitektInnen weit verbreitet.
Als ich bei der Lektüre von Elias Canetti, in einem seiner Bücher zu einem Handlungsort kahm, den ich aus meiner Kindheit sehr gut kenne, wurde ich von seiner Art der Beobachtung enorm überrascht. Es wurde mir bewusst, dass Canetti in seiner ganzen Literatur auf Orte und auf atmosphärische Momente dieser Orte kaum oder gar nicht eingeht, dass er fast ausschließlich Menschen und deren Verhalten, sowie gesellschaftliche Aspekte in Augenschein nimmt. Dadurch wurde mir die eigene Einschränkung und Möglichkeit ganz anderer Sichtweisen auf die Welt bewusster. Bei mir war es nämlich genau umgekehrt. Zulasten von Menschen, ihrer Charakteristik und ihrer Besonderheiten nahm ich vor allem Orte wahr. Ich versuche heute mein Gewahr werden auszudehnen. Damit gewinnt  beispielsweise (gegenüber dem Gebauten) die Landschaft und das Ganze einer Stadt an Gewicht.

Es gibt sehr viele Architekturwettbewerbe, inwieweit kann man die Qualität einer Architektureinreichung an Hand von Bild- und Texteinreichungen beurteilen?
Natürlich kann man mit einer entsprechenden Erfahrung Architekturzeichnungen und -pläne so beurteilen, dass man vom gebauten Ergebnis nicht überrascht wird. Das gilt für räumliche,  konstruktive und strukturelle Qualtäten, für die Aspekte Funktion, Ökonomie und Städtebau. Beim Thema Atmosphäre stößt man an Grenzen. Diesbezüglich sind der Aussagekraft von Zeichnung Grenzen gesetzt. Und was nicht berücksichtigt werden kann ist der weitere Planungs- und Realisierungsprozess. Da kann noch viel schief gehen, oder auch sich zum besseren wandeln. Die Sorgfalt der Durcharbeitung, die Einflüsse des Bauherren und der Sonderplaner kann kein Wettbewerbsergebnis vorwegnehmen.

 
Foto: Corinna König
Baupraxis für Studenten der Universität Linz im Rahmen von BASEhabitat - Studio für Architektur in Entwicklungsländern, Beispiel Kongo.

Welche Rolle spielt das Baumaterial an Ihrer Kunstuniversität in der Lehre?
Das ist eine gute Frage. Die Antwort schließt an die letzte an. Nachdem der Architekturentwurf eben »nur« ein Entwurf ist und im Gegensatz zu den Erzeugnissen der anderen Disziplinen unserer Universität nicht schon das Ergebnis selbst ist, sind unsere Möglichkeiten das Material, insbesondere seine Wirkung zu vermitteln beschränkt. Darin liegt auch ein Dilemma.
Andererseits lege ich Wert darauf, dass man in der frühen Entwurfsphase entscheidet in welchem Material man bauen möchte. Material nimmt, wenn man ihm sein Recht zugesteht, entscheidenden Einfluss auf die Konstruktion und Form des Ergebnisses. Viel mehr kann von Studierenden nicht erwartet werden. Die strukturellen, skulpturalen und räumlichen Grundfragen sind herausfordernd genug. Nur kleine Aufgaben können bezüglich der Materialisierung in die Tiefe des Details gehen. In diesen Fällen ist die Darstellungs- und Vermittlungsgabe mancher Studierenden besonders gefragt.  

Ist die Materialkunde oder das begreifen des Materials Teil der Ausbildung?
Ja, neben der Vermittlung der Materialgrundlagen lenke ich besonders bei unseren zahlreichen Exkursionen die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die Materialisierung und die atmosphärischen Momente.


Foto: Wonge Bergmann

Jeder Baustoffhersteller behauptet einen nachhaltigen Baustoff (im Sinne ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit) zu haben. Wo sehen Sie Stärken, vielleicht auch Schwächen für den Baustoff Ziegel?

Was mir an reinen Ziegelbauten sympathisch ist, ist deren Homogenität, besonders im Vergleich zu den frühen Holzbauten mit ihren komplizierten Details, den vielschichtigen Wandaufbauten und vielen unterschiedlichen An- und Abschlüssen. Durch die Holzmassivbauplatten wurde diesbezüglich vieles erleichtert, wie auch der Ziegel, nachdem seine Dämmwerte wesentlich verbessert wurden neuen Charme gewinnt. Allerdings geht, im Verbund mit den üblichen PU-Wärmedämmfassaden jegliche Attraktivität des Ziegels verloren. Die Stimmigkeit und Richtigkeit der jeweiligen Materialverwendung ist nur im Kontext eines architektonischen Gesamtkonzeptes zu beurteilen.
Wovon ich überzeugt bin ist, dass es eine große Zukunft für den ungebrannten Ziegel und für den Lehmbau gibt. Das bestätigt Martin Rauchs Arbeit in Europa und unsere Erfahrungen in Asien und Afrika.

 Vielen Dank vom Verband Österreichischer Ziegelwerke für das Gespräch.